Das persönliche Interview ist mit Sicherheit die zeit- und ressourcenaufwändigste Art, eine Befragung durchzuführen. Sie bietet jedoch die größten Chancen, valide Daten zu erheben. Allerdings ist ein persönliches Interview i.d.R. nur bei einer überschaubaren Anzahl von Studienteilnehmern realistisch. Es eignet sich besonders für lange Befragungen, bei denen die Studienteilnehmer einen persönlichen Bezug zum Studienziel haben und daher bereit sind, viel Zeit in die Befragung zu investieren.

Inhaltsverzeichnis

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Studienteilnehmer

Die potentiellen Studienteilnehmer/Studienteilnehmerinnen müssen in der Regel vorher bekannt sein. Nach Definition der Studienpopulation (z.B. Personen mit einer bestimmten Krankheit) werden die Kontaktdaten von potentiellen Studienteilnehmern/Studienteilnehmerinnen ermittelt. Zunächst wird Kontakt aufgenommen und um Studienteilnahme gebeten. Die Art der Kontaktaufnahme ist entscheidend für die Teilnahmebereitschaft und richtet sich nach dem Studienziel. Häufig eignet sich eine Kombination aus schriftlicher Vorabinformation (Studienziel, Anzahl gesuchter Teilnehmer) und anschließender telefonischer Kontaktaufnahme mit der Bitte um Studienteilnahme und Terminvereinbarung.



Vorbereitung

Beim Interview begegnen sich Interviewer/Interviewerin und Studienteilnehmer/Studienteilnehmerin an einem Ort, so dass in der Regel Reisekosten entstehen, die eingeplant werden müssen. Außerdem ist die geographische Fläche, innerhalb derer Studienteilnehmer/Studienteilnehmerinnen rekrutiert werden können, limitiert.

Die zu erhebenden Daten werden entweder auf Papier oder elektronisch erfasst. In beiden Fällen muss der Fragebogen übersichtlich gestaltet sein, damit der Interviewer/die Interviewerin die Antworten schnell während des Gesprächs eintragen kann und versehentliches Falschankreuzen vermieden wird. Hier helfen große Schriftarten, viel Platz zwischen den Fragen und ein gleichbleibendes Schema bei den Antwortmöglichkeiten (z.B. nein immer links und ja immer rechts). Außerdem können Aufnahmegeräte (z.B. ein Diktiergerät) genutzt werden um die eingetragenen Antworten im Nachhinein auf ihre Richtigkeit überprüfen zu können.


Beispiel aus dem ALLBUS-Fragebogen:

Der ALLBUS ist eine persönlich-mündliche computerunterstützte Befragung (CAPI), sodass die Eingabe direkt am Laptop erfolgt. Nähere Informationen bieten z.B. infratest und der Technical Report der ALLBUS Befragung.

i)


ii)


Beispiel aus dem ALLBUS-Fragebogen

i) Frage, wie sie dem Interviewer auf dem Bildschirm erscheint

ii) Antwortmöglichkeiten, die dem Respondierenden vorgelegt werden


Die Beispielfrage und Liste entsprechen Frage F003 und Liste 3 aus GESIS - Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften (2015): Allgemeine Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften ALLBUS 2014. GESIS Datenarchiv, Köln. ZA5240 Datenfile Version 2.1.0, doi:10.4232/1.12288

Die Fragen werden explizit ausformuliert und vom Interviewer/von der Interviewerin möglichst wortgetreu gestellt. Dies stellt sicher, dass keine Frage übersehen wird und dass in jedem Interview auch tatsächlich immer die gleiche Frage gestellt wird. Denn schon eine etwas abweichende Formulierung kann ungewollt eine sprachliche „Färbung“ in die Frage bringen, die die Antwort des Studienteilnehmers/der Studienteilnehmerin beeinflusst. Daher sollte man – auch wenn die Frage schon während des Gesprächs beantwortet wurde – die Frage sowie ggf. die Antwortmöglichkeiten immer noch einmal vom Fragebogen ablesen und den Studienteilnehmer/die Studienteilnehmerin selbst (!) die Antwort festlegen lassen. Fragen wie „Dann trifft bei Ihnen also Antwort B zu?“ sollten nicht gestellt werden, da der Studienteilnehmer/die Studienteilnehmerin dazu motiviert wird zuzustimmen, ohne sich tatsächlich mit den Antwortmöglichkeiten zu beschäftigen. Besser ist es, konkret zu fragen, welche Antwortmöglichkeit der Studienteilnehmer/die Studienteilnehmerin wählt.


Persönliche Begegnung

Trotz dieser Vorbehalte ist die größte Stärke des Interviews die persönliche Kommunikation. Der Interviewer/die Interviewerin hat die Möglichkeit, eine Frage genauer zu erklären oder noch einmal nachzufragen, wenn er den Eindruck hat, dass der Studienteilnehmer/die Studienteilnehmerin unsicher in seiner/ihrer Antwort ist. Die Genauigkeit der Antworten ist durch diese Form der Befragung am größten. Die Kunst des Interviews ist daher, die Vorteile des persönlichen Gesprächs mit den verbalen und nonverbalen Ebenen der Kommunikation zu nutzen, ohne die Objektivierbarkeit der Interviews zu gefährden (Vorlesen der formulierten Fragen).


Interviewerschulung

Wenn mehrere Personen Interviews führen, muss gewährleistet sein, dass die Fragebögen von allen Personen gleich ausgefüllt werden. Um einem sogenannten Interviewer-Bias vorzubeugen, ist es ratsam, die Interviewer/Interviewerinnen vor Beginn der Befragung intensiv zu schulen. In dieser Schulung wird der Umgang mit verschiedenen Situationen abgestimmt und eingeübt.

Eine Gefahr des persönlichen Interviews ist, dass die gegebenen Antworten davon abhängig sein können, wer eine bestimmte Frage fragt und wie sie gestellt wird: Wenn z.B. ein Interviewer/eine Interviewerin mit einem „Ein Herz für Tiere“-T-Shirt Sie fragt, ob Sie Tierversuche unterstützen, tendieren Sie vielleicht eher dazu, diese Frage zu verneinen.

Die Interviewer/Interviewerinnen sollen mit den fachlichen Inhalten der Befragung vertraut sein, damit sie mit Kommentaren umgehen und Zwischenfragen beantworten können. Fachkompetenz ist im persönlichen Interview eine wichtige Voraussetzung für die Akzeptanz der Studienteilnehmer. Allerdings kann es von Vorteil sein, wenn die Interviewer nicht mit den konkreten Hypothesen der Studie vertraut sind, um so den sog. observer-expectancy effect zu vermeiden. Dieser kann dazu führen, dass Interviewer unbewusst durch ihr Verhalten die Befragten zu hypothesenkonformen Antworten verleiten.

Höfliches, selbstsicheres und beharrliches Auftreten sind ebenfalls notwendig, um eine Befragung erfolgreich durchzuführen, denn es ist möglich, dass ein Studienteilnehmer/eine Studienteilnehmerin die Beantwortung einer Frage vermeiden möchte oder die Befragung vorzeitig beenden möchte. Der Umgang mit solchen Situationen sollte in der Schulung besprochen und ggf. trainiert werden. 


Fazit

Der Aufwand eines Interviews lässt sich – bei geeigneter Fragestellung – dadurch rechtfertigen, dass die Chance, vollständige und qualitativ hochwertige Daten zu generieren, am höchsten ist. Der Interviewer/die Interviewerin kann sicherstellen, dass wirklich alle Fragen beantwortet werden und dass die Angaben so korrekt wie möglich sind. Er kann den Studienteilnehmer/die Studienteilnehmerin z.B. dazu motivieren, in seinen/ihren Unterlagen nachzusehen, statt die Angaben aus dem Gedächtnis zu machen.

Der persönliche Austausch zwischen Interviewer/Interviewerin und Teilnehmer/Teilnehmerin kann die Teilnahmebereitschaft sowohl erhöhen als auch reduzieren. Dennoch hat diese Form der Befragung die höchste Responserate. Der große Zeitaufwand, die Terminbindung (Teilnehmer/Teilnehmerin kann den Fragebogen nicht dann ausfüllen, wenn es ihm gelegen ist, sondern hat einen festen Termin mit dem Interviewer/der Interviewerin) und die fehlende Anonymität können abschreckend wirken. Auch die fehlende Möglichkeit eines Abbruchs oder einer Verweigerung einer Antwort kann die Teilnahmebereitschaft reduzieren. Diese Argumente kommen besonders dann zum Tragen, wenn der Studienteilnehmer/die Studienteilnehmerin keinen Bezug zum Ziel der Studie hat. Teilnehmer/Teilnehmerinnen, die sich für das Studienziel sehr interessieren oder gar persönlich involviert sind, sind generell eher zur Teilnahme an Befragungen bereit. Bei diesen Teilnehmern/Teilnehmerinnen wirkt die Möglichkeit zum persönlichen Gespräch mit einem Fachexperten sowie die Chance aktiv zum wissenschaftlichen Fortschritt beitragen zu können, sehr motivierend. Auch die geschickte Wahl von Incentives – z.B. zusätzliche Untersuchungen, individuelle Beratung, Aufwandsentschädigung – kann die Teilnahmebereitschaft erhöhen.

Form und Inhalt der Kontaktaufnahme sind entscheidend und besonders bei Kontrollpersonen (gesunde Kontrollperson in Fall-Kontroll-Studie) eine große Herausforderung: seriöses Auftreten, umfassende Informationen in angemessener Sprache (Alltagssprache, kein Fachtext) etc. Mit Distanz zum Interviewer/zur Interviewerin steigt die Bereitschaft, sensible oder personenbezogene Informationen preiszugeben. So ist es im persönlichen Gespräch schwieriger, in der schriftlichen Befragung einfacher, Daten zu Alter, Körpergewicht oder Haushaltseinkommen zu erhalten. Auch bei Gewissensfragen zeigt sich dieses Phänomen: Wenn die befragte Person weiß, welche Antwort moralisch oder ethisch richtig ist, selbst aber eine abweichende Einstellung dazu hat, dann ist die Wahrscheinlichkeit für eine ehrliche Antwort im anonymen Raum (Brief, Internet) höher als beim persönlichen Kontakt.

Trotz einiger Nachteile des persönlichen Interviews sind Rücklaufquoten sowie Vollständigkeit und Qualität der Daten deutlich besser als mit anderen Befragungsinstrumenten. 


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